Agnes Lamprecht-Baumann

Du hast deinen ersten Ehemann geliebt, er war gutherzig und nett. Die Ehe war arrangiert von deiner Mutter und deinem mittlerweile verstorbenen Vater. Während deiner ersten Schwangerschaft schien der Leibhaftige von deinem Mann Besitz ergriffen zu haben. Immer öfter hatte er Anfälle und wurde zwischendurch auch gewalttätig. Eines Nachts verschwand er mit deiner neugeborenen Tochter. Einige Zeit später wurde er von Paula Fischer-Wyss tot bei dem Haus an der Grenze aufgefunden. Von deiner Tochter war keine Spur mehr zu finden, du gehst davon aus, dass auch sie nicht überlebte.

Du hast dir kurz darauf einen neuen Mann geangelt, von dem hast du auch deinen Nachnamen. Ein Grobian, der nie gut zu dir, deiner Familie oder deinen Kindern war. Als diese ins Schulalter kamen und langsam selber anpacken konnten, hast du ihn zusammen mit Rosmarie (Lamprecht) selber zum Teufel gejagt. Deinen Kindern hast du nie die ganze Geschichte erzählt, aber sie schienen darüber nicht ganz unglücklich gewesen zu sein. Leider hattest du als Alleinerziehende neben dem Hof nicht sehr viel Zeit für die Kinder.

Du hast dich in der Zeit durchaus in dem einen oder anderen fremden Bett vergnügt, natürlich ohne, dass dies jemand mitbekommen hätte. Doch vor ungefähr einem halben Jahr wurdest du für deine Ignoranz bestraft: Du wurdest schwanger. Und die Gewissheit darüber, dass das Kind von dem Fremden an der Grenze ist, treibt dir immer noch einen Schauer über den Rücken. Du hast keine Ahnung, was dich geritten hat, als du in einer Winternacht den Fremden zu seinem Haus hochsteigen sehen hast. Neugierig bist du ihm gefolgt. Er hat dich bemerkt und dich auf einen heissen Tee eingeladen. Mit seiner teuflisch charismatischen Art hat er dich wohl eingelullt, schlussendlich habt ihr euch geküsst und dann hat das eine zum anderen geführt. Es war schön. Zu schön. Der Schock hat dich tief getroffen, als dir bewusst wurde, was du gerade getan hast, in dem Haus, in dessen Nähe deine Tochter verschwand und dein vorheriger Ehemann starben. Mitten in der Nacht bist du geflüchtet, von dem Haus wieder hinuntergestiegen und hast nie wieder ein Wort mit dem Fremden geredet. Auch nicht als du bemerkt hast, dass du sein Kind in dir trägst.

Du hast deiner Mutter erzählt, es sei von irgendwem und du wüsstest nicht, wer es war. Wie immer hatte sie einen Plan und hat dir den jungen Peter Baumann als Mann vorgeschlagen. Ein paar junge Arme würden auf dem Hof nicht schaden. Du hast ihn schon immer gemocht und dir durchaus vorstellen können, ihn lieben zu lernen. Nachdem deine Mutter mit Michaela Baumann geredet hatte, war diese erstaunlich schnell bereit ihren Sohn zu verheiraten. Wenige Wochen später habt ihr dann Nägel mit Köpfen gemacht.

Und wieder einmal hast du gekriegt, was du wolltest. Die schrägen Blicke darüber, dass du in die jüngere Generation geheiratet hast, ignoriertest du. Deine Kinder hast du vor vollendete Tatsachen gestellt. Die werden schon noch lernen ihren jungen Vater zu respektieren, dafür werden du und Peter schon sorgen. Zudem sollen die zuerst selber heiraten. Markus Lamprechts Verlobung mit Susanne Tobler ist schonmal ein guter Anfang: Du und deine Mutter haben das geschickt arrangiert, denn so gehört der Familie Lamprecht bald auch noch die Mühle, das ertragreichste Gewerbe des Dorfes.

An diesem Wochenende beschäftigt dich aber noch etwas anderes: Das Haus an der Grenze hatte seit dem Verschwinden deiner Tochter eine düstere Bedeutung für dich und hat dich nie losgelassen. Immer wieder hast du von dem Ort geträumt und bist mit der Gewissheit aufgewacht, dass in der Vergangenheit mehr geschehen ist, als du damals aufklären konntest. Hatte der Fremde, der in dem Haus gelebt hat, vielleicht was mit dem Tod deiner Tochter zu tun?

Als du gehört hast, dass der fremde Besitzer gestorben ist, hast du beschlossen, mit dieser Geschichte ein für alle Mal aufzuräumen. Auch Peter Baumann zuliebe. Du hast das Gerücht gehört, dass das Haus in keinem Grundbuch verzeichnet ist und der Gemeindepräsident das Haus den Niederdörfler:innen übergeben würde. Als gottesfürchtige und tüchtige Besitzerin des grössten Hofes und mit dem Fremden als möglicher Mörder deines Ehemannes, bist du überzeugt ein Anrecht auf das Haus zu haben.

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